Unfaire Lieferketten als Risiko

In einer Zeit anhaltender Konflikte und Ressourcenverknappungen sind Unternehmen mit widerstandsfähigen Lieferketten im strategischen Vorteil. Nachhaltigkeit spielt dabei eine zunehmend wichtige Rolle.

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Zehn Jahre nach dem verheerenden Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza  in Bangladesch hat die ESG-Bilanz von Wertschöpfungsketten dank einer öffentlichen Diskussion und einer international wachsenden gesetzlichen Reglementierung erheblich an Bedeutung gewonnen. Dabei steht längst nicht nur die Bekleidungsindustrie im Fokus von NGOs, staatlichen Behörden und Asset Managern.

Erheblicher Nachholbedarf in der Automobilindustrie

So stellt der Corporate Human Rights Benchmark (CHRB)-Bericht in seiner aktuellen Betrachtung für das Jahr 2022 fest, dass die Automobilindustrie als einer der umsatzstärksten Industriezweige der Welt mit über acht Millionen Beschäftigten in Sachen Nachhaltigkeit der Lieferketten inzwischen das Schlusslicht aller bewerteten Sektoren bildet. Zwangsarbeit, ein Mangel an existenzsichernden Löhnen und Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit sind nur einige der Probleme, die bei vielen Herstellern und Zulieferern der Branche symptomatisch fortbestehen. Ferner stellt auch die Gewinnung von Rohstoffen (wie Stahl, seltene Erden und Kautschuk) in der tieferen vorgelagerten Lieferkette für die Herstellung von Fahrzeugen ein großes Feld für Umweltschädigung und Menschenrechtsverletzungen dar. Die CHRB-Erhebung verdeutlicht, dass in Schwellen- und Grenzmärkten Missbrauchsfälle nach wie vor am wahrscheinlichsten sind. Diese Probleme existieren seit Langem, aber ebenso lange wurden sie ignoriert.

Rana Plaza

Am 24. April 2013 stürzte in Bangladesch das Rana Plaza ein. In dem Fabrikgebäude wurde Discountermode für Deutschland hergestellt. Bei dem Einsturz kamen 1.132 Menschen ums Leben, Tausende wurden verletzt. Eine Sozial- oder Unfallversicherung gab es nicht.

Ausbeutung syrischer Flüchtlinge in der Bekleidungsindustrie in der Türkei
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Niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und schlechte Arbeitsbedingungen: Viele syrische Flüchtlinge werden in der türkischen Bekleidungsindustrie ausgebeutet. Auch Europa und der Nahe Osten werden beliefert.

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Zunehmende Relevanz von mehreren Seiten

Mit Inkrafttreten des sogenannten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) wurden im Januar 2023 die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) verbindlich umgesetzt. Deutschland befindet sich dabei in einem internationalen Kontext, in dem zahlreiche weitere Sorgfaltspflichtgesetze ebenfalls die Rechte von Menschen und den Schutz der Umwelt entlang von globalen Lieferketten gegenüber Unternehmen stärken. Durch die zunehmende Regulatorik hat inzwischen das Klagerisiko und damit der Handlungsdruck auf die Akteure deutlich zugenommen.

So hat das deutsche Lieferkettengesetz die Hürden für ausländische Betroffene gesenkt, sich vor deutschen Gerichten bei der Klage zum Beispiel von NGOs oder Gewerkschaften vertreten zu lassen. Allerdings fehlt im LkSG eine zivilrechtliche Haftungsregel, wonach Unternehmen für Schäden haften, die sie durch Missachtung ihrer Sorgfaltspflichten verursacht haben. Ein in der Vorbereitung befindliches Europäisches Lieferkettengesetz (CSDDD) dürfte jedoch die Standards bis hin in die vorgelagerte Lieferkette weiter verschärfen, genauso wie die Strafen bei Nichtbeachtung. Falls also Unternehmen nach Inkrafttreten des EU-Lieferkettengesetzes gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen, sollen die Betroffenen die Unternehmen vor den Gerichten der EU-Staaten auf Schadensersatz verklagen können. Dabei drohen Strafzahlungen in einem Umfang von bis zu fünf Prozent des globalen Umsatzes des jeweiligen Unternehmens.

Mit der Gesetzgebung hat sich auch die Regulatorik im Umfeld des EU-Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums verschärft. Kreditgebende Banken und Investoren fordern von den Unternehmen aufgrund neuer Berichterstattungspflichten wie der „Offenlegungsverordnung“ (kurz: SFDR ‒ Sustainable Finance Disclosure Regulation) oder der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) Transparenz über die ESG-Bilanz in den Lieferketten. „Wenn Unternehmen sich nun, egal ob aus Überzeugung oder unter Zwang, intensiv mit der Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten beschäftigen, reduzieren sie damit eine Reihe von Risiken und können gleichzeitig ihre Kreditwürdigkeit erhöhen und den Zugang zu neuem Kapital verbessern“, sagt Anne-Katrin Leonard, ESG-Analystin bei Union Investment.

Das „grünste“ Auto der Welt

Wo Schatten ist, ist auch Licht: Natürlich gibt es inzwischen eine Reihe von Unternehmen, die bereits in den vergangenen Jahren viel investiert haben, sich Know-how zugelegt und die Themen Nachhaltigkeit und Lieferkettenverantwortung inzwischen als Kernprozess im operativen Geschäft verankert haben. Um bei der Automobilindustrie zu bleiben, zählt etwa BMW laut dem Union Investment Sektor Research zu den Vorreitern in diesem Bereich.

LkSG

Seit Januar 2023 müssen in Deutschland Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern ihre Lieferketten überwachen, im Jahr 2024 fällt die Schwelle auf 1.000 Mitarbeiter.

UNLP

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) gehören zu den wichtigsten international anerkannten Standards der Unternehmensverantwortung für die Menschenrechte. Die UNLP sind international eine wichtige Grundlage für die Regulierung der Lieferketten.

So hat BMW die Ambition, über den gesamten Lebenszyklus eines Pkw ‒ von der Rohstoffgewinnung bis zum Recycling ‒ das „grünste“ Auto der Welt zu bauen. Dabei werden mittlerweile nicht nur Konfliktmaterialien nachhaltig eingekauft, sondern BMW ist auch Marktführer beim Einkauf von Stahl, Kupfer und Aluminium aus grüner Produktion. Die Bayerischen Motorenwerke verfügen außerdem über die höchste Transparenz im Automobilsektor, was die Themen CO2 und Menschenrechte in der Lieferkette betrifft. Die ambitionierten Klima- sowie Umwelt- und Menschenrechtsziele für die eigene Produktion werden unter anderem im Rahmen der Science Based Targets-Initiative (SBTi), der CDP-Berichterstattung und der CHRB-Benchmark transparent.

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Kontroverse Kobalt-Förderung im Kongo. Viele schlecht regulierte Minen haben das Image des kongolesischen Kobalts getrübt.

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Mit TradeTech zu transparenteren Lieferketten

Missstände zu identifizieren und Verbesserungen herbeizuführen stellt Unternehmen mit häufig weltumspannenden Lieferketten vor enorme Herausforderungen. Das Supply-Chain-Management muss dafür Informationen von den Zulieferern vor Ort beschaffen und diese auch verifizieren und bewerten können, um dann aktiv Verbesserungen einzuleiten. Daten sind dabei von zentraler Bedeutung. In diesem Zusammenhang wird sich TradeTech zu einem entscheidenden Instrument entwickeln. TradeTech ist ein Sammelbegriff für mehrere Technologien der künstlichen Intelligenz, des Internet of Things und der Blockchain, die auf die Transparenz der Lieferketten und gleichzeitig auf die Optimierung des Handels in Bezug auf ein verbessertes Risikomanagement und eine höhere Effizienz abzielen.

TradeTech kann beispielsweise zur Entwicklung einer Strategie genutzt werden, die auf Dekarbonisierung, Abfallreduzierung und eine optimierte Materialverwaltung ausgerichtet ist. Gleichzeitig kann TradeTech bei der Auswahl nachhaltiger Lieferanten und ESG-konformen Produkten und Dienstleistungen helfen. Durch Blockchain-Technologie lassen sich Informationen über den Ursprung von Rohstoffen, Produktionsprozessen und Transportwegen nachverfolgen. Gleichzeitig ermöglicht TradeTech mit intelligenter Routen- und Einsatzplanung eine Optimierung der Transportlogistik, um damit die Effizienz zu steigern und den CO2-Fußabdruck zu verringern. Das kann durch die Wahl umweltfreundlicher Verkehrsträger, die Verringerung von Leerfahrten und eine bessere Routenplanung erreicht werden. Lieferketten können dank TradeTech komplett neu nach aktuellen Anforderungen konfiguriert werden.

„Ich glaube, dass TradeTech unseren Umgang mit Lieferketten revolutionieren wird“, sagt Anne-Katrin Leonard. „Langfristig haben diese Technologien das Potenzial, die Handelsströme umzugestalten, indem sie, wo sinnvoll, die Lieferketten verkürzen und damit die Widerstandsfähigkeit von Unternehmen und Nationen erhöhen. Und all das unter Berücksichtigung strenger Nachhaltigkeitsstandards.“

Positive Korrelation

 

Durch die Sorgfaltspflichtgesetzgebung hat der regulatorische Druck zur Überwachung und ESG-Bilanzierung der Lieferketten international zugenommen. Man sollte meinen, dass dies eine lästige Pflicht für Unternehmen werden könnte, zumal besonders in Zeiten, in denen der Ruf nach mehr Resilienz und protektionistischen Maßnahmen lauter wird. Als aktiver Asset Manager glauben wir jedoch an die langfristig positive Korrelation zwischen einem nachhaltigen Ansatz und dem wirtschaftlichen Mehrwert. Dafür sind die Lieferketten ein gutes Beispiel. Wir glauben, dass kontrollierte Lieferketten widerstandsfähiger sind. Eine verantwortungsvolle Beschaffung unter Berücksichtigung ethischer und ökologischer Aspekte kann Wettbewerbsvorteile bieten, wie etwa ein hohes Maß an Verlässlichkeit. Unkontrollierte Lieferketten sind dagegen deutlich anfälliger für Risiken, wie etwa für Ereignis- und Reputationsrisiken und inzwischen auch Klagerisiken. In der Praxis ist mittlerweile erkennbar, dass Nachhaltigkeit insofern einen Schlüssel für resiliente Lieferketten darstellt. Und diese werden gerade in Zeiten der „Polykrise“ mehr denn je gebraucht.

Unser Engagement
in Sachen Lieferketten

Die Einhaltung von Menschenrechts-, Sozial-, Umwelt- und Klimastandards entlang der Lieferketten ist fester Bestandteil des Engagements von Union Investment. Zum einen wird in Zusammenarbeit mit anderen Investoreninitiativen und Organisationen (wie etwa der PRI Advance, World Benchmarking Alliance oder KnowTheChain) in Form von kollaborativem Engagement Einfluss auf Unternehmen genommen. Darüber hinaus wird die Verbesserung der ESG-Bilanz der Lieferketten von Union Investment auch direkt im konstruktiven Dialog mit Unternehmen thematisiert. Falls sich keine oder nur ungenügende Verbesserungen einstellen, macht Union Investment von ihrem Rede- und Stimmrecht auf Hauptversammlungen Gebrauch. Dabei war die Hauptversammlungssaison 2022 ein Rekordjahr hinsichtlich der Aktionärsanträge zu ESG-Aspekten, die auch die Lieferketten betrafen.


Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 11. September 2023, soweit nicht anders angegeben.

Hinweis: Die Nennung von Einzeltiteln und Unternehmen dient ausschließlich der Illustration und stellt keine Kauf- oder Verkaufsempfehlung der Titel dar. Die genannten Unternehmen müssen nicht Bestandteil der Portfolios von Union Investment sein. Einschätzungen können sich ändern, und das Unternehmen kann auf Veränderungen bereits reagiert haben.

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