Riskanter Raubbau

Der fortschreitende Verlust von Biodiversität ist in vieler Hinsicht riskant. Dagegen bietet ihr Erhalt sehr viele Chancen – auch für Unternehmen und Investoren.

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Die biologische Vielfalt auf unserem Planeten geht in alarmierendem Tempo unwiederbringlich verloren. Der World Wide Fund For Nature (WWF) warnt in seinem Living Planet Report, dass die Populationsgröße von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien weltweit zwischen 1970 und 2022 im Durchschnitt um 69 Prozent zurückgegangen ist. Experten sprechen in diesem Zusammenhang bereits vom sechsten Massenaussterben in der Geschichte des Lebens auf der Erde.

Dramatische Folgen

Das fortschreitende Artensterben hat schon jetzt spürbare Auswirkungen auf die Versorgung der Weltbevölkerung. So weisen die Autoren des Living Planet Report ausführlich auf die Zusammenhänge und die dramatischen Folgen hin. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Wohlergehen der Menschheit maßgeblich von funktionierenden Ökosystemen abhängt. Die biologische Vielfalt spielt eine zentrale Rolle für die Ernährung, die Gesundheit und das friedliche Zusammenleben einer wachsenden Weltbevölkerung. Neben frischer Luft und sauberem Wasser sind Lebensmittel, Energie, Arzneimittel und Werkstoffe aus der Natur dafür unerlässlich. Fast unsere gesamte Wirtschaftstätigkeit setzt direkt oder indirekt funktionierende Naturkreisläufe voraus. „Wenn die Weltgemeinschaft die Krise der Naturverluste nicht in den Griff bekommt, riskiert sie eine massive Störung der Weltwirtschaft und die Beeinträchtigung des Lebens und der Lebensgrundlagen vieler Millionen Menschen“, warnt der Living Planet Report.

Massenaussterben

Fünfmal wurde die Evolution des Lebens auf der Erde von einem dramatischen Massenaussterben unterbrochen. Zuletzt hatte vor etwa 66 Millionen Jahren vermutlich ein Meteoriteneinschlag das fünfte große Artensterben ausgelöst, das die Dinosaurier auslöschte.

Abholzung der Tropenwälder verschärft die Krise

Der inzwischen verstorbene Evolutionsbiologe Edward O. Wilson verglich einmal den Verlust der Artenvielfalt mit dem drohenden Bankrott der Erde. Damit steigen auch die Risiken für Unternehmen und Investoren. Das zeigt sich etwa am Thema Agrarrohstoffe und der damit zusammenhängenden Abholzung der Tropenwälder. In Südamerika, Zentralafrika und Südostasien nimmt seit Jahren die Entwaldung und Waldschädigung in alarmierendem Ausmaß zu. Das verschärft den Verlust der biologischen Vielfalt und den Klimawandel.

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Im Amazonas-Regenwald geschlagene Bäume werden auf dem Muritipucu-Fluss in Brasilien abtransportiert.

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Die Holzindustrie und die Landwirtschaft gelten dabei als Hauptverursacher. Ein Großteil der tropischen Wälder wird für die Holzindustrie zerstört und um Raum für die Rinderzucht und den Anbau von Soja und Palmöl zu schaffen. In allen Fällen gilt, dass die landwirtschaftlichen Betriebe ihre eigene Lebensgrundlage gefährden, wenn sie auf den Böden nicht nachhaltig wirtschaften. Infolge der Veränderung des lokalen Klimas und sinkender landwirtschaftlicher Erträge sind Farmer auf immer neue Landgewinnung angewiesen, mit erheblichen schädlichen Auswirkungen für Mensch und Natur. Diese Risiken betreffen nicht nur die Betriebe selbst, sondern auch die Konzerne, die sie beliefern und die ebenfalls mit den hausgemachten Folgen der Ressourcenverknappung zu kämpfen haben.

„Da Agrarrohstoffe, die die Abholzung der Tropenwälder und die Umwandlung von Ökosystemen vorantreiben, international gehandelt werden, liegt die Bekämpfung des Problems nicht nur in der Verantwortung der Erzeugerländer“, sagt Angela Quiroga, ESG-Analystin bei Union Investment. „Auch die Einfuhrländer müssen die Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Nutzung und ihres Verbrauchs übernehmen.“


Tropische Entwaldung, zurückzuführen auf Rohstoffe (2005–2017)

Quelle: WWF; Union Investment. Stand: 2022.

Zu den mit der Entwaldung verbundenen Geschäftsrisiken zählen auch Reputationsrisiken, wenn den inzwischen sensibilisierten Verbrauchern bewusst wird, dass die Lieferketten bestimmter Unternehmen mit Abholzung oder Land- und Arbeitsrechtsproblemen in Verbindung stehen. Auch der rechtliche Rahmen, in dem die Unternehmen agieren, ändert sich. Zunehmend gewinnen Vorschriften an Bedeutung, die es Unternehmen verbieten, Rohstoffe zu verwenden, die auf abgeholzten Flächen produziert wurden. Am 13. September 2022 stimmten zum Beispiel die Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit großer Mehrheit für die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten. Dieses Gesetz könnte dazu beitragen, dass die unter die EU-Taxonomie fallenden Unternehmen angemessene Maßnahmen zur Bekämpfung der Entwaldung in ihren gesamten Lieferketten ergreifen müssen. Auch der Finanzsektor würde durch das Gesetz diesbezüglich stärker reguliert. Das Parlament wird mit dem Votum der Abgeordneten mit den EU-Mitgliedsstaaten Verhandlungen über das endgültige Gesetz aufnehmen.

Einen weiteren Schub hat das Thema im Dezember 2022 auch durch die Beschlüsse der 15. Weltnaturschutzkonferenz in Montreal erhalten. Zu den wichtigen Ergebnissen der Konferenz zählt, dass jeweils 30 Prozent der Landflächen und Meere bis 2030 unter Schutz gestellt und die dortigen Ökosysteme wiederhergestellt werden sollen. Ferner sieht das Abkommen auch vor, dass Unternehmen hinsichtlich ihrer naturschutzschädlichen Praktiken und Lieferketten noch mehr in die Pflicht genommen werden sollen und dass artenschutzschädliche Subventionen heruntergefahren und in den Artenschutz umgeleitet werden sollen. Ob von Montreal eine ähnlich starke Signalwirkung wie vom Klimaabkommen in Paris ausgeht, hängt nun vom weiteren Engagement der rund 200 Unterzeichnerstaaten des Abkommens ab.

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Einige der größten Tropenwaldbestände in Südostasien fallen riesigen Palmölplantagen zum Opfer.

Foto: © Chris de Bode/laif

Schwache Unternehmensbeteiligung

Insbesondere im Bereich Basiskonsumgüter steht fast jeder Rohstoff potenziell in Verbindung mit der Entwaldung. So gut wie jedes zweite Supermarktprodukt enthält Palmöl. Innerhalb der Basiskonsumgüter sind die Lebensmittelindustrie und der Lebensmittel- und Grundnahrungsmitteleinzelhandel aufgrund der waldgefährdenden Rohstoffe, die in ihren Lieferketten weit verbreitet sind, besonders stark betroffen. Obwohl sich seit einigen Jahren zunehmend mehr Unternehmen mit der Vermeidung von Entwaldung beschäftigen, gibt es noch viel zu tun. Der gemeinnützige Naturschutz-Datenlieferant Global Canopy fand heraus, dass ein Drittel der Unternehmen, die im Rahmen des Forest 500-Index bewertet wurden, keine Richtlinien haben, die sicherstellen, dass ihre Produkte nicht mit der Entwaldung in Verbindung stehen. Weitere 38 Prozent der Unternehmen verfügen über keine umfassenden Entwaldungsrichtlinien, die alle waldgefährdenden Waren abdecken. Die übrigen Unternehmen haben zwar eine „Deforestation Policy“, jedoch haben sie in den vergangenen zwei Jahren über keine Fortschritte bei der Umsetzung ihrer Verpflichtung berichtet. „Diese Ergebnisse bestätigt auch weitgehend unsere jüngste Engagement-Analyse in diesem Bereich“, sagt Angela Quiroga (erfahren Sie mehr dazu in Angela Quirogas unten stehendem Kommentar).

Vom Schutz der Biodiversität profitieren

„Dabei eröffnen der Schutz und der Erhalt der Biodiversität ein Feld von Investitionsmöglichkeiten für Unternehmen mit starken nachhaltigen Produktlinien, die die biologische Vielfalt schützen“, ist  Angela Quiroga überzeugt. Zu den aussichtsreichen Lösungen zählen etwa eine Präzisionslandwirtschaft oder neue Geodatenlösungen. Zum Teil kann es dabei sogar gelingen, die Grundlagen für eine biologische Vielfalt wiederherzustellen, etwa durch Bodensanierungen und eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion.

„In diesen Bereichen werden private Investitionen dringend benötigt“, so Quiroga. Wenn die Welt die Ziele in den Bereichen Klimawandel, biologische Vielfalt und Bodendegradation erreichen will, muss sie nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) bis 2050 eine Finanzierungslücke von 4,1 Billionen US-Dollar schließen. Die aktuellen Investitionen in naturbasierte Lösungen belaufen sich auf 133 Milliarden US-Dollar, von denen die meisten aus öffentlichen Mitteln stammen, heißt es aus der gleichen Quelle.

Fazit

Es besteht auf jeden Fall akuter Handlungsbedarf in Sachen Biodiversität. Das Problem sollte eine ähnlich hohe Priorität eingeräumt bekommen wie Maßnahmen gegen den Klimawandel. Doch während sich die Erde vom Klimawandel in gewisser Weise wieder erholen kann, wenn die richtigen Gegenmaßnahmen ergriffen werden, funktioniert dies beim Artensterben nicht: Jede Tier- und jede Pflanzenart, die von diesem Planeten verschwinden, sind für immer verloren.

„Deforestation Policy“ macht Sinn

Den Erhalt der Tropenwälder und der Biodiversität nicht bis in die Lieferketten mitzudenken ist ein Risiko. Eine „Deforestation Policy“ bietet Unternehmen dagegen Chancen

Quelle: Union Investment/Profilwerkstatt. Stand: 2022.

Engagement gegen Raubbau

 

Angesichts der zunehmenden Relevanz des Themas Biodiversität hat das ESG-Team von Union Investment ein Unternehmensengagement im Basiskonsumgütersektor und bei Gebrauchsgütern gestartet. Dabei konzentrieren wir uns auf Agrarrohstoffe und die Abholzung von Tropenwäldern in Bezug auf die Lebensmittelindustrie, den Lebensmittel- und den Grundnahrungsmitteleinzelhandel. Unser Engagement fokussiert sich auf Palmöl, Soja, Rindfleisch und Holzprodukte, da diese in großem Maßstab von Unternehmen gehandelt werden. Aus diesem Grund haben wir zwischen Mai und August 2022 insgesamt 56 internationale Konzerne (wie etwa Danone, General Mills, Nestlé and JBS S.A.) angeschrieben und um Informationen gebeten über Maßnahmen, die diese Konzerne ergreifen, um die Abholzung der Tropenwälder in ihren Lieferketten zu verhindern.

Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass es noch viel zu tun gibt: Von den Unternehmen, die wir angeschrieben haben, hat nur etwa die Hälfte geantwortet. Nur ein Viertel der antwortenden Unternehmen verfügt über eine „Deforestation Policy“. Diese Zahl verringert sich sogar noch bei der Frage, ob die Policy alle Rohstoffe, alle Regionen und alle Arten von Lieferanten abdeckt. Leider stellten wir auch fest, dass die zur Messung der Entwaldung verwendeten Kennzahlen nicht geeignet sind, die Zerstörung von Ökosystemen aufzuhalten. Es mangelt an einer vollständigen Rückverfolgbarkeit bis zum Ursprung und an der notwendigen Transparenz.

Es besteht in diesem Sektor also akuter Handlungsbedarf. Wir sind mit den betreffenden Unternehmen in einen konstruktiven Dialog zu diesem wichtigen Thema getreten. Wir setzen uns dabei für die Einrichtung eines transparenten Überwachungs- und Überprüfungssystems ein, das die Einhaltung der Compliance von direkten und indirekten Lieferanten kontrolliert, keine Wälder abzuholzen. Ferner machen wir uns für eine jährliche Unternehmensberichterstattung stark, die auch den Schutz der Wälder und der Biodiversität in ihrem Risikomanagement berücksichtigt, einschließlich der Fortschritte dabei, keine Entwaldungen vorzunehmen. Auf diesem Weg möchten wir die Unternehmen begleiten. Unser Ziel lautet, die Biodiversität weltweit zu wahren und Risiken für die von uns verwalteten Gelder zu minimieren.


Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 17. Januar 2023, soweit nicht anders angegeben.

Hinweis: Die Nennung von Einzeltiteln und Unternehmen dient ausschließlich der Illustration und stellt keine Kauf- oder Verkaufsempfehlung der Titel dar. Die genannten Unternehmen müssen nicht Bestandteil der Portfolios von Union Investment sein. Einschätzungen können sich ändern, und das Unternehmen kann auf Veränderungen bereits reagiert haben.

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