Vergütung ohne Bodenhaftung?

Unverhältnismäßig hohe Managementvergütungen bergen Risiken für Investoren. Eine Neuausrichtung der Vergütungsmodelle kann Abhilfe schaffen und gleichzeitig den Nachhaltigkeitskurs von Unternehmen fördern.

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Topmanager-Bezüge in astronomischer Höhe sind immer wieder Ursache hitziger Debatten bei Hauptversammlungen: So sorgte der Lieferdienst Delivery Hero bereits in seinem DAX-Debütjahr für ungläubiges Kopfschütteln. Denn im Jahr 2020 zählte Delivery Hero-Vorstand Niklas Östberg mit einem Jahreseinkommen von 45,7 Millionen Euro (2020, S. 31) zu den Spitzenverdienern im deutschen Leitindex. Er wurde lediglich vom Linde-CEO Steve Angel übertroffen, der mit einer Gesamtvergütung von 53,4 Millionen Euro die Verdienerskala im damaligen DAX 30 anführte. Zum Vergleich: Das Durchschnittssalär der DAX-Vorstände (inklusive aller Leistungen wie Pensionszusagen, Aktienoptionen und Nebenleistungen wie Dienstwagen oder Versicherungen) lag 2020 bei 8,5 Millionen Euro. Sind die geschilderten krassen Ausreißer bei den Vorstandsvergütungen nur wegen der schwindelerregenden Einkommenshöhe bedenklich?

Hohe Vorstandsvergütungen, ein Risiko?

Unabhängig davon, ob man eine Vorstandsvergütung für angemessen hält oder nicht, besitzen extreme Gehälter in mehrfacher Hinsicht auch Risikopotenzial. So können überzogene Boni oder Pensionszusagen als Bestandteil von Auszahlungen oder Rückstellungen zunächst eine dauernde Belastung des Betriebsvermögens darstellen.

Managementvergütungen können unter Umständen auch ein riskantes Geschäftsverhalten fördern, wenn die Vergütung leistungsbezogene Komponenten enthält, die auf eine Performancesteigerung um jeden Preis zielen. Dies zeigte sich etwa im Zusammenhang mit der Finanzkrise von 2008. Nicht wenige Manager wurden damals von der Aussicht auf Boni gelockt und gingen dadurch zum Teil unkalkulierbare Risiken ein.

Nicht zuletzt haben exzessive Vergütungen wie die von Niklas Östberg, der 2020 das 121-Fache seiner Angestellten verdiente, auch eine moralische Dimension. Sie können Ursache für Misstrauen sein und sozialen Unfrieden stiften. Dr. Vanda Rothacker, ESG-Analystin bei Union Investment, legt an diesem Punkt jedoch Wert auf eine Versachlichung der Diskussion: „Wir fokussieren uns nicht ausschließlich auf die Höhe, sondern insbesondere auf die Zusammensetzung und Ausgestaltung der Vergütung. Eine unverhältnismäßig hohe Vergütung kann dann unter Umständen eine Ausprägung ‚schlechter‘ Vergütungssysteme sein.“

Sorgenkind Delivery Hero

Im Falle von Niklas Östberg lag das Grundgehalt im Jahr 2020 bei 350.000 Euro. Dazu wurden aktienbasierte Vergütungen aus der Vergangenheit in Höhe von circa 45 Millionen Euro eingelöst. Die Höhe der Vergütung und das dahinterliegende Vorstandsvergütungssystem von Delivery Hero erregte das Misstrauen des ESG-Teams von Union Investment. In mehrfacher Hinsicht waren die Vorstandsvergütungspraktiken des Lieferdienstes intransparent. Kritikpunkte waren etwa mangelnde Klarheit, welcher Zusammenhang zwischen der Erreichung der vorher vereinbarten Leistung und der variablen Vergütung bestand, oder in welcher Form und wann der Delivery Hero-Chef über die gewährten variablen Vergütungsbeträge verfügen durfte. Dies waren nur zwei von insgesamt 18 Kritikpunkten, die Union Investment beim Vergütungssystem von Delivery Hero anmahnte.

Delivery Hero CEO Niklas Östberg
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Die enorme Vorstandsvergütung von Delivery Hero-CEO Niklas Östberg wurde in der Hauptversammlungssaison 2020 und 2021 von Aktionären aus mehreren Gründen kritisiert.

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Immerhin legte Delivery Hero ‒ wohl auch unter dem Eindruck der Kritik ‒ im Juni 2021 ein neues, angepasstes Vergütungssystem auf der Hauptversammlung vor, welches allerdings immer noch zahlreiche Schwachstellen aufwies und von Union Investment ebenfalls abgelehnt wurde. Dabei ist der Lieferdienst nur eines von vielen Unternehmen, die auf Hauptversammlungen wegen ihrer Vorstands- oder Aufsichtsratsvergütungspraktiken in der Kritik stehen. So lehnte Union Investment 2021 weltweit etwa jeden zweiten der 3.435 Tagesordnungspunkte zum Thema Vergütung ab.

Das G von ESG

Die kritische Betrachtung der Vorstands- oder Aufsichtsratsvergütung ist Teil des großen Corporate-Governance-Kosmos, der den Ordnungs- und Handlungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen vorgibt. Weitere Governance-Aspekte, die Union Investment bewertet und zur Erstellung eines Corporate-Governance-Rankings nutzt, sind das Kapital, der Vorstand, der Aufsichtsrat, die Abschlussprüfung und die Transparenz der Unternehmensführung.

Für die Vergütung auf Vorstandsebene gibt es in Deutschland mehrere Regularien und Handlungsempfehlungen, an denen sich Unternehmen eigentlich orientieren sollten. Dazu zählen das Aktien- und Handelsrecht (Aktiengesetz mit dem „Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie“ ‒ ARUG II und dem „Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung“ ‒ VorstAG).

Über den gesetzlichen Rahmen hinaus wurden bereits 2002 weitere wichtige Maßstäbe als Reaktion auf diverse Skandale und Fälle von Missmanagement von börsennotierten Unternehmen gesetzt. Im Auftrag der Bundesregierung formulierte eine Kommission im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) erstmals einen Katalog von Empfehlungen und Anregungen für gute Unternehmensführung. Der Kodex ist eine Art freiwillige Selbstverpflichtung für börsennotierte Unternehmen. Neben einer angemessenen Vorstandsvergütung werden darin auch Themen wie die Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie die Transparenz behandelt.

Für Union Investment bilden die aktuelle Gesetzeslage sowie der Corporate Governance Kodex eine wichtige Orientierung bei der Bewertung von Unternehmen und für die eigenen Abstimmungsrichtlinien auf Hauptversammlungen, die sogenannte „Proxy Voting Policy“. „Das Thema Governance ist als Nachhaltigkeitsthema fest im Portfoliomanagement verankert“, unterstreicht Dr. Vanda Rothacker. „Die Themen Umwelt, Soziales und gute Corporate Governance stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Verantwortungsvoll ausgerichtete Unternehmen müssen zwischen allen drei Aspekten der Nachhaltigkeit die richtige Balance und beste Verknüpfung finden.“ Innerhalb des Engagements verfügt Union Investment über ein breites Instrumentarium, um die Interessen ihrer Aktionäre beim Thema Corporate Governance durchzusetzen (siehe Infografik).

Vergütung als ESG-Steuerungsinstrument

Die Vorstandsvergütung als Teil der Corporate Governance kann als effektiver Hebel zur Durchsetzung von mehr Nachhaltigkeit genutzt werden. So lassen sich leistungsbezogene Anteile des Managementgehalts nicht nur an eine Erhöhung der wirtschaftlichen Zahlen koppeln, sondern auch an die Erfüllung ökologischer und sozialer Ziele. In diesem Sinne zielt Union Investment als aktiver Investor im Dialog mit Unternehmen und auf Hauptversammlungen darauf ab, über das „Say on Pay“ auf eine Verknüpfung der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen mit den Vergütungssystemen hinzuwirken. „Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist erst dann für uns überzeugend, wenn Nachhaltigkeitsziele messbar und überprüfbar sind und sich in der Vergütung des Topmanagements widerspiegeln“, sagt Dr. Henrik Pontzen, Leiter der Abteilung ESG im Portfoliomanagement von Union Investment.

VorstAG

Das seit 2009 gültige Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung besagt unter anderem, dass die Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu den Leistungen des Vorstands stehen und die branchen- und landesüblichen Vergütungen nicht ohne besondere Gründe übersteigen sollte. Aufsichtsräte, die dem VorstAG zuwiderhandeln und höhere Vergütungen gewähren, machen sich gegenüber der Gesellschaft schadenersatzpflichtig.

Jens Wilhelm

Jens Wilhelm, Mitglied im Vorstand von Union Investment, ist seit 2016 Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex.

„Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist erst dann für uns überzeugend, wenn Nachhaltigkeitsziele messbar und überprüfbar sind und sich in der Vergütung des Topmanagements widerspiegeln.“
Dr. Henrik Pontzen

Leiter der Abteilung ESG im Portfoliomanagement von Union Investment

Adidas honoriert nachhaltige Vorstandsarbeit

Einen jüngeren Erfolg in dieser Richtung beobachtete Union Investment bei dem Sportartikelhersteller Adidas. Bislang waren die Nachhaltigkeitsziele der Herzogenauracher noch nicht in der Vorstandsvergütung verankert. Seit Längerem hat sich Union Investment daher in regelmäßigen Transformationsgesprächen bei dem Unternehmen für eine Berücksichtigung der ESG-Ziele in der Managementvergütung eingesetzt. Zur Hauptversammlung im Mai 2021 legte Adidas schließlich ein überarbeitetes Vergütungssystem zur Billigung vor, welches die Nachhaltigkeitsziele künftig auch in der Vorstandsvergütung verankert. So sollen beispielsweise bis zum Jahr 2025 neun von zehn Produkten der Sportmarke nachhaltig sein. Der Vorstand wird für die Einhaltung belohnt. Insgesamt 20 Prozent der langfristigen Vorstandsvergütungskomponenten berechnen sich aus dem Anteil der nachhaltigen Artikel im Produktangebot.

Adidas Hauptversammlung im Jahr 2021
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Adidas-Hauptversammlung 2019. Coronabedingt fanden die Hauptversammlungen der Sportmarke seitdem digital statt. Im Mai 2021 präsentierte Adidas dabei ein nachhaltiges Vergütungssystem.

Foto: © Daniel Karmann/Picture Alliance/dpa

Ausblick

Das Thema Corporate Governance hat in den vergangenen Jahren an Dynamik gewonnen, genauso wie die Diskussion über Vorstandsvergütungen. So wurde 2019 von der Bundesregierung der Sustainable-Finance-Beirat ins Leben gerufen, der sich ebenfalls für eine stärkere Verknüpfung der Vergütungsregelungen mit Nachhaltigkeitszielen starkmacht. Der Corporate Governance Kodex wurde im März 2020 ebenfalls in dieser Richtung reformiert. Das wachsende öffentliche Interesse an dem Thema spiegelt sich auch in Initiativen wie dem „Arbeitskreis Leitlinien für eine nachhaltige Vorstandsvergütung“ wider. Parallel dazu wächst dank zahlreicher Studien zunehmend das Wissen zu diesem Thema. So untersuchte das Sustainable Governance Lab der Universität Gießen im Auftrag von Union Investment, inwieweit die Vergütungssysteme der DAX 40-Unternehmen geeignet sind, Nachhaltigkeit im Topmanagement zu steuern und zu incentivieren. Die Ergebnisse der Studie werden Anfang 2022 erwartet.

Im Interview: Nachhaltige Vergütungssysteme

Seit August 2009 sind börsennotierte Unternehmen durch das VorstAG gesetzlich verpflichtet, die Vergütungsstruktur für Vorstände auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Engage sprach darüber mit Janne Werning, Leiter der Gruppe ESG Capital Markets & Stewardship bei Union Investment.

Wahl ? ! ! ! ! !!! PRI FAIRR WDI CHRB Climate Action 100+
Engagement-Instrumente im aktiven Asset Management
Innerhalb des Engagements verfügt Union Investment über ein breites Instrumentarium. Wir zeigen verschiedene Stadien, wie wir mit zunehmender Intensität Aktionärsinteressen durchsetzen.
Gremienarbeit
Beeinflussung von ESG-Regulierung
Abstimmung auf Hauptversammlungen
Zum Beispiel Wahl des Aufsichtsrats, Vergütung, Kapitalmaßnahmen
Unternehmensdialog
Mit Vorständen, Leitern Nachhaltigkeit und Investor Relations
Fokus-Engagement
Erhöhung der Zahl und Intensität der Unternehmensdialoge
Kollaboratives Engagement
Gebündelte Investoreninteressen
Aktionärsanträge
Unterstützung von ESG‑Anträgen
Kritische Interviews
Schaffung von Medienöffentlichkeit
Rede auf Hauptversammlungen
Kritischer Redebeitrag
Öffentliches Misstrauensvotum
Zum Beispiel Nicht‑Entlastung von Vorstand und/oder Aufsichtsrat
Klagen
Investorenklagen und ‑prozesse
Exit
Verkauf der Portfolio-Beteiligungen

Klare Kante im Sinne der Anleger

 

Extrem hohe Vorstandsvergütungen lassen leicht die Emotionen hochkochen. Für uns als aktiver Asset Manager ist es im Sinne unserer Anleger jedoch wichtig, die Dinge sachlich zu betrachten. Eine wichtige Leitlinie dabei ist unsere Proxy Voting Policy. Wir haben darin unsere Grundsätze formuliert, um bei Hauptversammlungen mit unserem Stimmrecht Maßnahmen zu unterstützen, die den Wert von Unternehmen langfristig und nachhaltig steigern. Wenn Maßnahmen diesem Ziel entgegenstehen, stimmen wir dagegen. Ausführlich widmen wir uns in dieser Abstimmungsrichtlinie auch dem Thema Vorstandsvergütung. Unser Augenmerk gilt dabei nicht nur der Gesamtvergütung, sondern auch den variablen Vergütungsanteilen. Für diese erwarten wir unter anderem eine überwiegende Ausrichtung auf die langfristige und nachhaltige Unternehmensentwicklung. Dabei ist für uns die Integration von materiell signifikanten und ambitionierten ESG-Zielen wichtig. Das heißt auch, sie sollen aus der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens abgeleitet werden können. Zudem sollen sie einen signifikanten Anteil an der Vergütung aufweisen sowie messbar und prüfbar sein. Transparenz ist dafür die Voraussetzung, die unter anderem im Vergütungsbericht durch eine detaillierte Aufschlüsselung der Zahlen gewährleistet werden kann. Daraus sollte unter anderem der Beitrag der jeweiligen Vergütungskomponenten zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung ersichtlich sein. Vergütung honoriert Verantwortung. Gleichermaßen muss diese auch übernommen werden, wenn es zu Fehlverhalten kommt. Bei Hinweisen hierauf werden wir dem Management keine Entlastung erteilen. Dies gilt selbstverständlich auch für Versäumnisse und Verstöße in Bezug auf ESG-Fragen. Grundsätzlich sehen wir Verstöße des Unternehmens gegen internationale Standards und Normen in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und Arbeitsrechte kritisch und berücksichtigen dies in unserem Abstimmungsverhalten.


Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 20. Dezember 2021, soweit nicht anders angegeben.

Hinweis: Die Nennung von Einzeltiteln und Unternehmen dient ausschließlich der Illustration und stellt keine Kauf- oder Verkaufsempfehlung der Titel dar. Die genannten Unternehmen müssen nicht Bestandteil der Portfolios von Union Investment sein. Einschätzungen können sich ändern, und das Unternehmen kann auf Veränderungen bereits reagiert haben.

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