Gegen Aggressoren handeln

Unternehmen mit Russlandaktivitäten haben ein Reputationsproblem. Wie gehen sie damit um?

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Der Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist ein völkerrechtswidriger Angriff auf die internationale Ordnung. Die Folgen sind dramatisch. Der Krieg bedeutet Tod, Leid und Zerstörung in nicht absehbarem Ausmaß und richtet immensen gesellschaftlichen Schaden an. Gleichzeitig löste der Angriffskrieg nicht nur in der „Kornkammer Europas“ eine humanitäre Katastrophe aus, sondern hat auch dazu beigetragen, die globale Ernährungskrise zu verschärfen. Das sind nur die auffälligsten Dimensionen des Angriffskriegs. Verantwortungsvolle Unternehmen und Asset Manager sahen sich in der Folge gezwungen, ihre weiteren Geschäftsbeziehungen mit dem Aggressor zu überprüfen und so weit wie möglich einzustellen.

Laut einer Studie des Yale Chief Executive Leadership Institute haben seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine bis Mai bereits mehr als 1.000 Unternehmen weltweit öffentlich angekündigt, ihre Aktivitäten in Russland freiwillig einzuschränken, in einem Rahmen, der über das von den internationalen Sanktionen geforderte Mindestmaß hinausgeht. Einem Gros fiel die Entscheidung leicht, denn für viele westliche Unternehmen spielt Russland als Absatz- und Produktionsstandort eine eher geringe Rolle. Für sie dürften die Einbußen kaum ins Gewicht fallen. Doch je enger die Geschäftsbeziehungen vor dem 24. Februar waren, desto schwerer fällt der Rückzug. In Bezug auf Deutschland sind etwa Unternehmen aus den Branchen Maschinenbau, Elektrotechnik und Fahrzeugbau betroffen, die allein im Jahr 2021 fast 53 Prozent der russischen Importe für diese Bereiche stellten.

Kornkammer

Wegen ihrer fruchtbaren Schwarzerdeböden gilt die Ukraine als „Kornkammer Europas“. In den Jahren 2020/21 lieferte der Staat rund 8,5 Prozent des weltweit exportierten Weizens.

Quelle: Statista 2022.

Russische Raketen zerstören Öllager in der ukrainischen Hafenstadt Odessa.
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Russische Raketen zerstören Öllager in der ukrainischen Hafenstadt Odessa im April 2022. Die Kriegshandlungen behindern auch die Ausfuhr von Getreide.

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Es gibt nicht nur entweder oder

Auch die Autoren der Yale-Studie stellen fest, dass die Entscheidung über weitere Russlandaktivitäten ein komplexes Kalkül für Unternehmen darstellt. Sie müssen zwischen möglichen wirtschaftlichen Verlusten und Schadensersatzforderungen auf der einen Seite und den Risiken weiterer Geschäftsbeziehungen auf der anderen Seite abwägen. Gewachsene Geschäftsbeziehungen sind nicht einfach zu kappen. In vielen Fällen fehlen solvente Interessenten, Firmen tragen auch Verantwortung gegenüber Mitarbeitern vor Ort, Lieferketten sind nicht einfach auszutauschen. Hinzu kommen der Markenschutz und erschwerte Devisentransfers. Der öffentliche Druck und die Kritik an Unternehmen, die in Russland tätig sind, nehmen auf solche Einwände jedoch wenig Rücksicht. Unternehmen haben darauf ganz unterschiedlich reagiert, unabhängig davon, ob sie von moralischen oder wirtschaftlichen Motiven getrieben wurden. Die Maßnahmen reichen vom Investitionsmoratorium (Kosmetikhersteller Coty) über Verkaufsstopps (Apple) bis hin zur Einstellung des Betriebs (Kreditkartenfirmen Visa und Mastercard) oder einem vollständigen Rückzug aus Russland (Accenture). Die Yale-Studie differenziert hierbei die unterschiedlichen Einschränkungsgrade der Geschäftstätigkeit.

Einschränkung der Geschäftstätigkeit mit Russland

* Quelle: Jeffrey A. Sonnenfeld a.o., It pays for companies to leave Russia, Yale, May 2022. Aktualisiert: 1. September 2022.

Schwaches BIP

Zwar verfügt Russland mit einer Bevölkerung von 145 Millionen Menschen über viele potenzielle Konsumenten. Gleichzeitig liegt die Kaufkraft jedoch deutlich unterhalb westlicher Niveaus, sodass das russische Bruttoinlandsprodukt mit 1,78 Billionen US-Dollar etwa dem der Beneluxländer entspricht.

Quelle: Union Investment/Statista 2022.

Die Finanzmärkte haben Unternehmen für den Ausstieg belohnt

Auch über die Folgen der unterschiedlichen Positionierungen von Unternehmen gegenüber Russland haben die Autoren eine erste Untersuchung angestellt. Sie kommen mit Blick auf die Kennzahlen von über 1.200 Unternehmen zum Schluss, dass die Finanzmärkte sehr deutlich mit überproportionalen Gewinnen auf den Ausstieg aus Russland reagiert haben, und zwar in allen Anlageklassen, über alle Regionen und Zeiträume hinweg. Die Gesamtrenditen der Aktionäre haben ebenfalls laut der Studie seit der Invasion genau mit dem Grad der Einschränkung der Russlandaktivitäten korrespondiert.

Bei einer repräsentativen Auswahl bekannter Unternehmen, die sich aus Russland zurückgezogen haben, liegt laut der Studie die Bewertung der Outperformance von Aktien und des durch Aktiengewinne geschaffenen Aktionärsvermögens über den Kosten für einmalige Wertminderungen durch den Russland-Exit, die etwa durch Abschreibungen und Verkäufe von Vermögenswerten entstanden sind. Die Untersuchung zeigte außerdem hinsichtlich der Kredit- und Derivatemärkte, dass die Credit Spreads und die damit zusammenhängenden Preise für Credit Default Swaps von Unternehmensanleihen von in Russland verbleibenden Unternehmen einen leichten, aber statistisch signifikanten Anstieg der vom Markt erwarteten Ausfallwahrscheinlichkeit aufwiesen. Dies zeigte ein Vergleich mit Unternehmensanleihen von Firmen, die sich aus Russland zurückgezogen haben.

Langfristig wird sich das Vorgehen sowohl im ESG-Rating durch eine Abwertung als auch im Kontroversen-Score niederschlagen.
Janne Werning

Leiter der Gruppe ESG Capital Markets & Stewardship bei Union
Investment

Die Autoren der Studie kommen zu dem Ergebnis: „Die globalen Kapitalströme auf den Finanzmärkten zeigen deutlich, welche Bedeutung Investoren der Entscheidung zum Rückzug aus Russland beimessen. Die Kapitalgeber sind eindeutig und unmissverständlich der Meinung, dass die Risiken, die mit einem Verbleib in Russland verbunden sind in einer Zeit, in der sich bereits fast 1.000 große globale Unternehmen aus dem Land zurückgezogen haben, bei Weitem die Kosten eines Ausstiegs aus Russland überschreiten.“ Inzwischen ist somit auch absehbar, dass eine Entscheidung der Unternehmen, ihre Geschäfte mit Russland ohne Rücksicht auf den Überfall auf die Ukraine wie gewohnt weiterzuführen, auch negative Auswirkungen auf deren ESG-Rating haben wird. „Langfristig wird sich das Vorgehen sowohl in unserem ESG-Rating  durch eine Abwertung als auch im Kontroversen-Score niederschlagen“, bestätigt dementsprechend Janne Werning, Leiter der Gruppe ESG Capital Markets & Stewardship bei Union Investment.

Weiter sinkendes Vertrauen in Russland

Mit dem Ausfall von zwei russischen Fremdwährungsanleihen im Wert von 100 Millionen Dollar zum 27. Juni 2022 sank zusätzlich das Vertrauen in die Russische Föderation. Damit gilt Russland erstmals seit 1918 als zahlungsunfähig. Aufgrund seiner Finanzlage wäre Russland zwar eigentlich kein Fall für einen Staatsbankrott. Gemessen an der Finanzkraft des Landes sind die geschuldeten Zinsen unbedeutend. Allerdings sind der Staat und seine Banken durch die bisherigen Sanktionen weitgehend vom internationalen Finanzsystem ausgeschlossen. So ist es amerikanischen Banken verboten, Zahlungen des russischen Staates an ihre Kunden weiterzuleiten. Ungeachtet dessen, ob der Zahlungsausfall technisch oder tatsächlich eingetreten ist, verdeutlicht er die Isolierung Moskaus gegenüber dem globalen Finanzmarkt. Damit erodiert das Vertrauen in den Staat weiter. Das steigert für Unternehmen und Investoren das Risiko weiterer Aktivitäten mit dem Aggressor-Staat.

Geschlossene McDonald's-Filiale in Moskau.
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Eine geschlossene McDonald’s-Filiale in Moskau. Zahlreiche Unternehmen haben sich seit dem 24. Februar entschlossen, ihre Geschäfte in Russland auszusetzen oder einzuschränken.

Foto: © EPA | MAXIM SHIPENKOV / picture alliance

Der Exit kann auch juristisch gut begründet werden

Für Unternehmen, die ESG-konform agieren wollen und sich auch wegen der wirtschaftlichen Risiken oder einem möglichen Imageschaden aus den Russlandaktivitäten zurückziehen wollen, stellen sich allerdings auch rechtliche Fragen. Mit welchen Argumenten können Verträge beendet und mögliche Klagerisiken unterbunden werden? Valerie Hohenberg, Partnerin der österreichischen Wirtschaftskanzlei Wolf Theiss, sieht diese Frage gelassen. „Fällt die Entscheidung zum Rückzug, gibt es derzeit bereits genügend juristische Mittel, den Abbruch von Geschäftsbeziehungen durch höhere Gewalt, Wegfall der Geschäftsgrundlage oder Vertrauensverlust darzustellen.

Should I stay or should I go?

Mit welchen Risiken und Problemen sehen sich Unternehmen konfrontiert, wenn sie weiterhin Russlandaktivitäten betreiben bzw. Abstand davon nehmen?

Quelle: Union Investment/Profilwerkstatt. Stand: 2022.

Russland im Fokus unseres Engagements

 

Bereits kurz nach dem 24. Februar 2022 stufte das ESG-Committee von Union Investment die russische Militäroperation als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ein. Weil russische Exporte und die Erlöse staatsnaher Unternehmen die Finanzierung der Offensive unterstützen, werden sie als wichtige Stützpfeiler der Aggression eingestuft. Daher hat Union Investment ihre Geschäftstätigkeiten mit dem Aggressor auf den Prüfstand gestellt. In der Folge wurde ein Zukaufsverbot für russische und belarussische Staatsanleihen und staatsnahe Emittenten verhängt.


Schon vor Kriegsbeginn waren russische Staatsanleihen für die ESG-Publikumsfonds von Union Investment ausgeschlossen. Der Ankauf von belarussischen Staatsanleihen war sogar für sämtliche Publikumsfonds untersagt. Seit dem 24. Februar sind auch die Russlandgeschäfte westlicher Unternehmen Gegenstand unserer kontinuierlichen Unternehmensdialoge. Erste Gespräche in dieser Angelegenheit erfolgten bereits. Vor dem Hintergrund der aktuellen Kriegsereignisse und der dadurch verursachten Sanktionen gegen russische Privatpersonen und Unternehmen sind Geschäftsaktivitäten in Russland erheblichen Risiken ausgesetzt. Im Einzelfall muss geprüft werden, inwieweit auch nicht sanktionierte Geschäftstätigkeiten der Finanzierung des russischen Angriffskriegs dienen können. Diese Prüfung läuft bereits und wird kontinuierlich und intensiv fortgeführt.

Unser erstes Fazit: Ein beträchtlicher Teil der von uns beobachteten Konzerne lässt die Russlandgeschäfte aktuell kriegsbedingt ruhen oder hat den Rückzug aus den dortigen Aktivitäten eingeleitet. Mit den Adressen, die noch in Russland tätig sind, werden vertiefende Engagements angestrebt, um Gründe und Risiken der Geschäfte auszuloten – und dann eine Entscheidung über die weitere Vorgehensweise, das heißt die Berücksichtigung in den Fonds, zu treffen.


Stand aller Informationen, Erläuterungen und Darstellungen: 5. Oktober 2022, soweit nicht anders angegeben.

Hinweis: Die Nennung von Einzeltiteln und Unternehmen dient ausschließlich der Illustration und stellt keine Kauf- oder Verkaufsempfehlung der Titel dar. Die genannten Unternehmen müssen nicht Bestandteil der Portfolios von Union Investment sein. Einschätzungen können sich ändern, und das Unternehmen kann auf Veränderungen bereits reagiert haben.

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